2_Schreibversuche
Ohne Überschrift
„Man wird auch nicht jünger.“, seufzt sie. „Oder wie sehen Sie das, mein lieber Herr Gesangsverein?“ Herr Gesangsverein schaut sie an. „Liebes Lieschen Müller, auch der Herbst hat schöne Tage.“
„Herr Gesangsverein, mir wird ganz blümerant.“ flötet Lieschen Müller. „Haben Sie schon mal ein Pferd kotzen sehen?“ fragt sie ihn. „Ja. Ich habe schon Pferde kotzen sehen. Und das vor der Apotheke mit einem Rezept im Maul.“
„Oh. Da drüben steht nämlich eins, das kotzt. Da, vor der Apotheke.“
„Was sehen denn meine entzündeten Augen da?“, staunt Herr Gesangsverein nicht schlecht. Sie gehen zu dem Pferd. „Oh wie schön“, sagt Lieschen Müller. „Schauen Sie ihm doch mal ins Maul.“, sagt Herr Gesangsverein. „Aber nein, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.“, empört sie sich. Sie erzählt ihm von dem schrecklichen Fischessen am vergangenen Freitag. „Machen Sie mal Butter bei die Fische.“, rät Herr Gesangsverein. „Dann schmecken Sie besser.“
„Hallihallohallöle!“ Otto Normalverbraucher kommt auf sie zu und begrüßt sie freundlich. „Und?“, fragte er. „Wie?“
„Danke gut. Schönes Wetter heute.“, sagt Lieschen Müller. „Und bei Ihnen?“
„Ja.“, antwortet Otto Normalverbraucher. „Sie sind aber wortkarg heute.“, bemerkt Herr Gesangsverein. „Ein Mann, ein Wort.“, antwortet er. Und mit „Tschüssikowski!“, verabschiedet er sich und geht weiter. „Setzen Sie sich mal auf das Pferd.“, sagt Herr Gesangsverein zu Lieschen Müller. „Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde.“
„Ja, aber das große Glück der Pferde ist der Reiter auf der Erde.“, antwortet Lieschen Müller. „Ach so.“, sagt Herr Gesangsverein. „Das kann doch wohl nicht Warstein!“, ruft er plötzlich. „Das Pferd hat kurze Beine!“
„Lügen haben kurze Beine.“, bemerkt Lieschen Müller. „Alles wird gut.“, meint Herr Gesangsverein und zückt einen Flachmann aus seiner Jackentasche. „Brauchen Sie etwas Spaß?“ fragt er. „Nein.“, sagt Lieschen Müller. „Ich kann auch ohne Spaß Alkohol haben.“ und nimmt einen tiefen Schluck aus dem Flachmann. Sie reicht ihm die Flasche und sagt: „Versuch macht kluch.“ Mit dem Handrücken wischt sie sich über ihre Lippen. „Sie kamen spät heute.“, sagt sie. „Ausgemacht war zwölf Uhr Pfirsich.“
„Pünktlichkeit ist eine Zier, doch besser geht es ohne ihr.“, findet Herr Gesangsverein. „Und besser spät, als nie.“ Lieschen Müller schaut ihn an, klimpert mit den Augen und sagt: „Aber Sie wissen doch: Wer ficken will, muss freundlich sein.“
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Wortspiel - Okt 14, 23:06 - in Rubrik:
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Nachfolgende Geschichte ist frei erfunden.
Der Psychokavalier
Ich bin entzückt. Vor meiner Tür liegt ein kleiner Strauß gelber Rosen. Wie süß. Ich habe einen heimlichen Verehrer, freue ich mich. Und so traditionell. Im Zeitalter von E-Mail und Handy sind Blumen etwas Besonderes. Verliebt in Mr. Unbekannt schwebe ich in meine Wohnung. Den ganzen Tag stelle ich mir vor, wie er aussieht. Natürlich hat er Charme und Humor und alle Latten am Zaun. Drei Tage später liegt wieder ein kleiner Strauß gelber Rosen vor meiner Tür. Neugierig suche ich nach einem Zettel, mit einem Gruß, einem Hinweis. Vergeblich. Nur der Strauß. Ich bin enttäuscht, aber die Vorstellung, wie ich bald den schönen Mr. Unbekannt persönlich kennen lerne, tröstet mich. Zwei Tage später wieder gelbe Rosen vor der Tür. Aber jetzt ist bestimmt ein Hinweis dabei, hoffe ich. Wieder nichts. Warum gibt er sich nicht zu erkennen? Eine Woche ist Ruhe, fast sind die Blumen vergessen. Doch dann: Gelbe Rosen. Ich bin mir sicher: Er ist ein Psychopath, der mich von irgendwo heimlich beobachtet. Woher weiß er, wo ich wohne? Woher weiß er, wann ich weg bin? Ich überlege, mir einen attraktiven Freund für kurze Zeit zu besorgen. Bei einem Escort-Service. Das wäre vielleicht eine gute Abschreckung. Vier Tage später – gelbe Rosen. Ich stelle mir vor, wie der attraktive Gemietete den Rosenkavalier stellt. Ich verliebe mich in meinen Mietfreund und er sich in mich. In einer anderen Version ist der Rosenmann kein Psychopath, sondern schüchtern, aber trotzdem toll. Der Rosenmann und ich verlieben uns ineinander, der Mietfreund muss traurig abziehen. Dann, nach drei Tagen, wieder gelbe Rosen. Ich bin völlig wirr. Ich schwinge zwischen Grusel und Traum. Meine Freundinnen sind wegen der Blumen mittlerweile genauso aufgeregt wie ich. Alle möglichen Varianten werden besprochen, Theorien bewiesen und Interpretationen aufgestellt.
Eines morgens um halb acht klingelt es an meiner Tür. Ich öffne und blicke schlaftrunken in einen kleinen Strauß gelber Rosen. Meine Gehbehinderte Nachbarin hält ihn mir entgegen. „Endlich treffe ich sie mal persönlich.", sagt sie und drückt mir die Blumen in die Hand. „Weil sie doch immer meinen Müll mitnehmen, wenn ich ihn vor meine Tür stelle.“
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Wortspiel - Okt 5, 20:00 - in Rubrik:
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Nachfolgende Geschichte ist frei erfunden.
Die Schröders
Herr Schröder und Frau Schröder sind nicht verheiratet. Sie heißen nur gleich und sonst haben sie gar nichts miteinander zu tun. Findet Frau Schröder. Sie kennt nicht mehr viele Leute. Manchmal kommt ihre Tochter vorbei. Herr Schröder ist Frau Schröder ein bisschen unheimlich. Er wohnt im Stockwerk unter ihr. Immer, wenn sie vom Einkaufen kommt, macht sie auf dem letzten halben Stockwerk zu ihrer Wohnung Pause. Dort im Fenster hinterlässt Herr Schröder immer eine Kleinigkeit für Frau Schröder. Ein Gänseblümchen, das er vom Spaziergang mitgebracht hat, ein Karamellbonbon, die Tageszeitung … Frau Schröder fragt sich, warum er das macht. Herr Schröder kann hören, wie sie die Treppe hoch, an seiner Wohnung vorbei geht. Auf dem halben Stockwerk zu ihrer Wohnung verstummen ihre Schritte, bis sie einige Minuten später die letzten Stufen läuft. Dann hört er ihren Schlüssel und dann die Tür. Wie sie auf- und wieder zugeht. Herr Schröder findet Frau Schröder schön. Frau Schröder findet sich nicht mehr schön. Einmal hat sie morgens ihre Falten im Gesicht gezählt. Mit dem Vergrößerungsspiegel. Bei 21 ist sie durcheinander gekommen. Ihr Haar schimmert lila und ihre Brille ist viel zu groß und völlig aus der Mode. Aber sie hat keine Lust mehr, sich eine neue zu besorgen. Interessiert sowieso keinen mehr. Herr Schröder denkt oft daran, wie er Frau Schröder die Brille reicht, wenn sie im Wohnzimmer sitzen und Fernsehen schauen. Irgendwann will er sie mal fragen, ob sie mit ihm Fern sieht. Jetzt, denkt er jedes Mal, wenn er sie die Treppen hoch kommen hört oder ihr sogar im Hausflur begegnet, jetzt frage ich sie! Aber dann lässt ihn der Mut alleine und er freut sich einfach nur darüber, dass sie sein Geschenk findet. Neulich hat er einen kleinen Gummi-Fisch in das Fenster gestellt. Mit einem Zettel: „Liebe Frau Schröder, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Fisch“. Er findet so etwas lustig. Frau Schröder eigentlich auch, aber der Kerl traut sich ja was! Sie stellt den Fisch auf die Fensterbank in der Küche. Zu den anderen Geschenken von Herrn Schröder. Ihre Tochter wundert sich, wo sie bloß immer den Nippes her hat. „Was willst du denn mit dem Fisch?“ Herr Schröder würde Frau Schröder gerne mal zu einem Spaziergang mitnehmen. Er weiß ja nicht, dass Frau Schröder nicht mehr gerne läuft. Wenn es nach ihr ginge, könnte sie den ganzen Tag faul in ihrem Sessel sitzen und fernsehen. Der Schröder ist ja ständig unterwegs, denkt sie. Jeden Tag hört sie seine Tür. Komischer alter Mann. Sie überlegt, warum Leute in ihrem Alter so sonderbar sind und ob sie auch sonderbar ist. Herr Schröder glaubt, dass Frau Schröder einen ausgeprägten Charakter hat und das findet er spannend. Er träumt oft vor sich hin, wie er Tee für sie kocht oder ihr aus der Zeitung vorliest. Jetzt macht Herr Schröder sich Sorgen, weil er sie schon viel zu viele Tage nicht mehr auf der Treppe gehört hat. „Sie ist jetzt in einem Seniorenwohnheim.“, erklärt ihre Tochter, als er sie eines Tages im Hausflur trifft, mit Werbepost für Frau Schröder in der Hand. „Wissen Sie, das Alleinsein fiel ihr schwer und ich hatte kaum Zeit, mich um sie zu kümmern.“
Herr Schröder besucht Frau Schröder jeden Tag. Er kocht Tee für sie, liest ihr aus der Zeitung vor und abends reicht er ihr die Brille zum Fernsehen.
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Wortspiel - Okt 3, 23:08 - in Rubrik:
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Nachfolgende Geschichte ist frei erfunden.
Wünsch dir was
Er sitzt ihr gegenüber, rührt in seiner Kaffeetasse und sagt: "Du musst das verstehen. Ich sehe gut aus, ich habe einen tollen Körper und eine sexy Stimme. Außerdem verfüge ich über qualitativen Humor und bin sehr eloquent. Das ist der Grund, warum mich schon eine andere Schlampe weggeschnappt hat." Das sagt er natürlich nicht. Wirklich sagt er: "Und? Was machst du heute noch so?" Und sie antwortet: "Oh, später gehe ich mit dir nach Hause, schiebe lässig die Schlampe zur Seite und mit dir mal ne richtig gute Nummer. Dabei zeige ich dir, was vögeln heißt. Dann kochst du für uns und holst den besten Wein aus deinem Keller." Das sagt sie natürlich nicht. Wirklich sagt sie: "Oh, später treffe ich mich mit einer Freundin im Fitness-Studio und dann gehen wir was trinken."
"Hmmm." Er rührt weiter in seinem Kaffee. Sie stellt sich vor, wie er sie zum Abschied in den Arm nimmt und sie ganz billig und ganz aus Versehen einen Lippenstiftrest an seinem weißen Hemdkragen hinterlässt. Im Geiste hört sie ihre schrille Stimme, die sie noch nie gehört hat: "Woher kommt der Lippenstift???"
Er sieht sie lange an, schaut ihr tief in die Augen. Jetzt ... denkt sie. Und dann sagt er: "Der Kleine fängt gerade an zu laufen."
"Oh, das ist ja toll!" antwortet sie und findet das gar nicht. In ihrem Kopf läuft sie mit ihm und dem "Kleinen" an der Hand durch den Park. Fröhlich lachend, mit dem "Kleinen" spielend. So gesehen ist es vielleicht gar nicht schlecht, wenn er schon laufen kann, überlegt sie. Eine Fliege sitzt auf seinem Hemdkragen. Sie kann nicht aufhören sie anzustarren. Wie der schwarze Fleck auf der weißen Weste, fällt ihr auf. Wenn sie die Fliege anstarrt, muss sie nicht ständig auf sein umwerfendes Gesamtbild achten. Wenn einem schwindelig ist, soll man einen Punkt fixieren. Die Fliege fliegt weg. Logisch, denkt sie. Ist ja auch eine Fliege. Die weiße Weste ist wieder weiß. "Ich bin noch etwas müde," erzählt er. "Grillabend bei meinen Eltern. Ging ziemlich lang."
"Ach so." Sie denkt sich aus, wie er sie bei seinen Eltern vorstellt. Wie gut sie mit seinem Vater zurecht kommt, wie angeregt sie sich mit seiner Mutter unterhält. Dann nimmt sein Vater ihn zur Seite und sagt: 'Also Junge, diese Frau ist ein Glücksgriff. Viel netter als die Schlampe.' Und er sagt: 'Ja Vater, ich bin so froh' oder so ähnlich.
"Darf ich dich was fragen?" Jetzt ... denkt sie wieder und hält den Atem an. Jetzt spricht er es aus. Ihr Herz will aus ihrer Brust springen. "Könntest du vielleicht die Rechnung übernehmen? Ich habe mein Geld vergessen."
Er ist gegangen. Luftküsschen links, Luftküsschen rechts. Zurück bleiben zwei leer getrunkene Kaffeetassen, der Alltag und eine lästige Fliege.
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Wortspiel - Aug 29, 12:31 - in Rubrik:
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Nachfolgende Geschichte ist frei erfunden.
Keks und Frühling
Ich wache auf und sehe ihn neben mir liegen. So liegt er schon seit vier Jahren neben mir. Morgens. Nachts bestimmt auch, aber das sehe ich nicht. Ich habe sehr früh damit aufgehört, die Menschen, die nachts neben mir liegen, zu beobachten. Man sieht einfach nicht vorteilhaft aus, wenn man schläft. Das will ich nicht sehen. Wer kam auf diesen Schwachsinn mit dem engelsgleichen Schlafgesicht?
Mir fällt auf, dass ich ihn nicht mehr liebe. Er macht die Augen auf und sieht, wie ich ihn anstarre. "Was ist?" fragt er schlaftrunken. "Ich liebe dich nicht mehr."
Sein Gesicht spricht mehr, als er sagen kann. Verschlafen sieht es aus, zerrissen und entsetzt. Es dauert etwas länger, als ich erwartet habe, bis die Worte in seinem Hirn landen und sich endlich festsetzen. "Hast du einen anderen?"
"Nein, ich habe keinen anderen. Ob ich jemanden liebe oder nicht, muss mir doch kein anderer sagen." Ich stehe auf, koche Kaffee und zünde mir eine Zigarette an. Ich muss die Fenster wieder putzen, fällt mir auf. "Musst du jetzt schon rauchen?" Er steht im Türrahmen, nur in Shorts, mit hängenden Schultern. "Ist das denn jetzt nicht egal?" frage ich zurück. Wir sitzen am Küchentisch, schweigen. Ich esse Kekse. "Ich verstehe das einfach nicht", sagt er. Er rauft sich die Haare, die nach der Nacht sowieso schon aussehen, als würden sie nicht zu ihm gehören. "Wie kannst du mich von einem auf den anderen Tag nicht mehr lieben?"
"Nicht von einem auf den anderen Tag. So wie sich Liebe entwickeln kann, so kann sie sich eben auch de-entwickeln."
"Und wie lange de-entwickelt sie sich schon?" Er ist gereizt. Ich merke es daran, wie er de-entwickelt in die Länge zieht.
"Es dauert eben manchmal länger, bis man zu seinen Gedanken und Gefühlen zurück findet", erkläre ich ihm. "Warum hast du nie etwas gesagt?"
"Ich habe doch etwas gesagt - du hast mir nie zugehört." In meinem Kaffee schwimmt ein Kekskrümel. "Das ist alles albern." Schlaf und Schock weichen und er findet langsam in seine Form zurück. "Mach mehr aus deinem Leben. Dann fällt dir auch nicht so ein Blödsinn ein." Er klingt altklug. "Eben. Damit fange ich ja gerade an."
Er ist weg. Endlich und für immer. Ich nehme einen kleinen Karton, packe alle seine Sachen ein und schreibe in Schönschrift seine Adresse darauf. Ich verlasse frisch geduscht das Haus, mit dem Karton unter dem Arm und gehe zur Post.
"Das kostet Sechsneunzig", sagt die Postfrau.
Ich schreibe in Schönschrift Porto zahlt Empfänger drauf.
Draußen empfängt mich warme Luft, es riecht nach Frühling und die Vögel zwitschern. Heute ist ein schöner Tag.
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Wortspiel - Aug 27, 10:46 - in Rubrik:
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