Dienstag, 3. Oktober 2006

Die Schröders

Nachfolgende Geschichte ist frei erfunden.

Die Schröders

Herr Schröder und Frau Schröder sind nicht verheiratet. Sie heißen nur gleich und sonst haben sie gar nichts miteinander zu tun. Findet Frau Schröder. Sie kennt nicht mehr viele Leute. Manchmal kommt ihre Tochter vorbei. Herr Schröder ist Frau Schröder ein bisschen unheimlich. Er wohnt im Stockwerk unter ihr. Immer, wenn sie vom Einkaufen kommt, macht sie auf dem letzten halben Stockwerk zu ihrer Wohnung Pause. Dort im Fenster hinterlässt Herr Schröder immer eine Kleinigkeit für Frau Schröder. Ein Gänseblümchen, das er vom Spaziergang mitgebracht hat, ein Karamellbonbon, die Tageszeitung … Frau Schröder fragt sich, warum er das macht. Herr Schröder kann hören, wie sie die Treppe hoch, an seiner Wohnung vorbei geht. Auf dem halben Stockwerk zu ihrer Wohnung verstummen ihre Schritte, bis sie einige Minuten später die letzten Stufen läuft. Dann hört er ihren Schlüssel und dann die Tür. Wie sie auf- und wieder zugeht. Herr Schröder findet Frau Schröder schön. Frau Schröder findet sich nicht mehr schön. Einmal hat sie morgens ihre Falten im Gesicht gezählt. Mit dem Vergrößerungsspiegel. Bei 21 ist sie durcheinander gekommen. Ihr Haar schimmert lila und ihre Brille ist viel zu groß und völlig aus der Mode. Aber sie hat keine Lust mehr, sich eine neue zu besorgen. Interessiert sowieso keinen mehr. Herr Schröder denkt oft daran, wie er Frau Schröder die Brille reicht, wenn sie im Wohnzimmer sitzen und Fernsehen schauen. Irgendwann will er sie mal fragen, ob sie mit ihm Fern sieht. Jetzt, denkt er jedes Mal, wenn er sie die Treppen hoch kommen hört oder ihr sogar im Hausflur begegnet, jetzt frage ich sie! Aber dann lässt ihn der Mut alleine und er freut sich einfach nur darüber, dass sie sein Geschenk findet. Neulich hat er einen kleinen Gummi-Fisch in das Fenster gestellt. Mit einem Zettel: „Liebe Frau Schröder, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Fisch“. Er findet so etwas lustig. Frau Schröder eigentlich auch, aber der Kerl traut sich ja was! Sie stellt den Fisch auf die Fensterbank in der Küche. Zu den anderen Geschenken von Herrn Schröder. Ihre Tochter wundert sich, wo sie bloß immer den Nippes her hat. „Was willst du denn mit dem Fisch?“ Herr Schröder würde Frau Schröder gerne mal zu einem Spaziergang mitnehmen. Er weiß ja nicht, dass Frau Schröder nicht mehr gerne läuft. Wenn es nach ihr ginge, könnte sie den ganzen Tag faul in ihrem Sessel sitzen und fernsehen. Der Schröder ist ja ständig unterwegs, denkt sie. Jeden Tag hört sie seine Tür. Komischer alter Mann. Sie überlegt, warum Leute in ihrem Alter so sonderbar sind und ob sie auch sonderbar ist. Herr Schröder glaubt, dass Frau Schröder einen ausgeprägten Charakter hat und das findet er spannend. Er träumt oft vor sich hin, wie er Tee für sie kocht oder ihr aus der Zeitung vorliest. Jetzt macht Herr Schröder sich Sorgen, weil er sie schon viel zu viele Tage nicht mehr auf der Treppe gehört hat. „Sie ist jetzt in einem Seniorenwohnheim.“, erklärt ihre Tochter, als er sie eines Tages im Hausflur trifft, mit Werbepost für Frau Schröder in der Hand. „Wissen Sie, das Alleinsein fiel ihr schwer und ich hatte kaum Zeit, mich um sie zu kümmern.“

Herr Schröder besucht Frau Schröder jeden Tag. Er kocht Tee für sie, liest ihr aus der Zeitung vor und abends reicht er ihr die Brille zum Fernsehen.

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Ronnie (Gast) - Okt 4, 07:26

Ach schön.... Ich mag nicht alt werden. Wer weiß, wie sonderbar wir mal werden und ob es dann noch eine/n Schröder an unserer Seite gibt.

marbot - Okt 4, 09:52

Die einzige Alternative dazu ist aber jung zu sterben - und das will auch keiner. Im Ernst, ich möchte gerne alt werden, aber in Würde und aktiv. Heinrich Albertz, Theologe und früherer Regierender Bürgermeister von Berlin, ist recht früh mit seiner Frau in ein Seniorenheim gezogen. Immerhin war er noch so aktiv, dass er damals von dort aus (lang ist's her) als Hauptredner zur Großdemo in Bonn gegen den Nato-Doppelbeschluss gefahren ist. Alt und Seniorenheim heißt nicht weg vom Fenster....
Wortspiel - Okt 4, 12:26

Altwerden gehört zum Leben dazu. Wichtig ist nur, dass man am Ende auf ein Leben zurück blickt, mit dem man zufrieden ist. Durch was die Zufriedenheit entsteht, ist egal. Das kann für jeden anders aussehen.
Chinaski - Okt 4, 15:28

Ich finde eine Mischung aus dem was Marbot und Wortspiel dazu gesagt haben wäre optimal. Jung will man nicht sterben aber alt und Krank möchte man auch nicht werden. Also ist es am besten wenn man alt wird aber dabei relativ gesund und mobil bleibt und dabei der Jugendzeit nicht nachzutrauern braucht.

Die Realität der meisten sieht aber leider etwas düsterer aus. Ich habe Altenheime von Innen gesehen, eine Zeitlang habe ich als Student dort gearbeitet. Die meisten verlieren die Mobilität, werden dadurch immer kranker und grimiger, die unterbezahlten polnischen und russischen Pfleger und Pflegerinnen gehen mit den Leuten um wie mit lästigen Fliegen und das erst recht wenn sie den Hintern der alten Leute abwischen und abputzen müssen. Das ist die harte Realität der meisten alten Menschen.

Nicht der Krieg (den hab ich erlebt) und auch nicht Aids oder Tod ist die grösste Katastrophe auf dieser Welt sondern die Tatsache nicht mehr in der Lage zu sein den eigenen Arsch abzuputzen. Das ist mein voller Ernst.
pamela (Gast) - Okt 4, 10:55

alt

an meinem 30 geburtstag habe ich festgestellt: so, ab jetzt bin ich alt. das war ein ziemlicher schock, da ich mich doch vorher noch weissgottwie jung gefühlt hatte. so hatte ich einige wochen schwere depressionen, die nicht, wie üblich, bei "angeschwipst" aufhörten, sondern erst bei "ziemlich betrunken". gut einen monat später hab ich mich dann damit abgefunden, bis heute. ich bin halt alt und das ist keineswegs schlimm. das allgemein vorgegaukelte: jung=geil, alt=scheisse ist einfach völliger quatsch. jung ist keine tugend, alt kein makel, ist einfach nur so. ob man geil oder scheisse ist hängt von dem ab, was man tut, wie man denkt, welche freunde man hat, wie man sich fühlt, usw. aber nicht von alt oder jung
was mir sehr an der geschichte gefallen hat, war das ende. wenn man denkt: "dreck! chance verpasst; der zug ist abgefahren und kommt nie wieder!" stimmt dies fast nie. es geht immer irgendwie weiter und die nächste chance ist meistens nah. nur irgendwann sollte man schon eine nutzen.
pamela, etwas besinnlich am mittwoch morgen

zoee (Gast) - Okt 4, 11:10

ich finde diese geschichte schaurig schön. sie hat etwas von einem horroszenario mit einem ende mit schrecken und resignierter romantik.

aber das ist nur mein persönliches empfinden. wahrscheinlich habe ich selbst nur schiss davor, dass ich irgendwann mal auf nachbar schröder angewiesen bin, der mich eigentlich gar nicht wirklich kennt. und ich kann mich dann nicht einmal wehren.

Wortspiel - Okt 4, 12:27

Ist doch schön, wenn man im Alter einen Nachbarn hat, der einen liebt und der sich kümmert ...
zoee (Gast) - Okt 5, 09:39

natürlich. aber es muss auf gegenseitigkeit beruhen.
Frau Echse - Okt 4, 12:05

ich finde die geschichte sehr schön und traurig, aber sie macht mut...
ich kenn das ungute gefühl wenn man älter und älter wird... aber es ist tatsächlich gar nicht schlimm weil wie oben schon so schön gesagt: es kommt auf einen selber und die gesamte grundeinstellung zum leben an was passiert. es gibt genug leute, die mit 23 älter denken und wirken als andere mit positiver aktiver lebenseinstellung je sein werden! ich bin nun auch 2 wochen vor dem 44 horrorgeburtstag und mir gehts saugut und frischverliebt und ich gehe zur zeit davon aus, dass sowas auch mit 75 noch passieren kann und das ist doch einfach toll

Wortspiel - Okt 4, 12:29

Oh prima! Eine Schnapszahl! Wann isses soweit? Am 18.10.?
zoee (Gast) - Okt 4, 12:30

recht haben sie, frau echse. und das gute am älterwerden ist, dass man es eigentlich gar nicht wirklich merkt. man lebt ja mit den umständen und wächst mit dem lebensweg (oder krümmt sich halt dann irgendwann mal naturgegeben). bei meinem letzten geburtstag war ich ganz erstaunt, dass da auf einmal eine 2 hinter der vier steht. und wenn ich mich im spiegel ansehe, dann sehe ich mich halt so, wie ich mich mein ganzes leben lang schon sehe: so wie ich eben bin.

krank werden darf man halt nicht.
Morticia1 - Okt 4, 21:16

ist das okay, wenn ich möchte dass die schröders heiraten? und wenn ich ganz ehrlich bin: ich möchte für immer eine null hinter der vier haben. leider bin ich schon auf 3. ich werde sehr ungern älter. da kann ich mich einfach nicht überlisten. oder letztes angebot: älterwerden okay. aber ohne das genaue alter zu wissen. perso einschmelzen und gut. ich bin dabei! wie jetzt,... gehtnich? mist.

Wortspiel - Okt 4, 22:50

Herrn Schröder würde das sicher auch gut gefallen, wenn sie heiraten.
marbot - Okt 5, 11:27

Sei beruhigt, in ein paar Jahren hast Du wieder eine Null hinten ;-)

WortSpiel

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haaaaaallooooo
ich will doch hoffen, dass jeder inzwischen mitbekommen...
maximiliane (Gast) - Jun 28, 12:24
Escort
Du schreibst sehr sehr gut. Bitte behalte diesen Stil...
Thomas (Gast) - Jan 2, 17:14
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Chinaski - Dez 26, 21:59

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